Mittwoch, 15. November 2000

Der Alltag und das kleine Nichts

Schauspiel Theater Bagage mit Botho Strauß im Kultur-Depot

Ein junger Mann sucht seinen Hausbesitzer, schließlich will man ja wissen, mit wem man es zu tun hat. Doch das Abstraktum eines Immobilienkonsortiums überfordert den wissensbegierigen Mieter. Er eilt von Zimmer zu Zimmer, nein, er will keinen Sachbearbeiter, sondern seinen Hausherren sprechen. Letztlich scheitert er am Vorstandsvorsitzenden und dieser an ihm. Verzweiflung macht sich breit: Menschen leben in Konstrukten, verstehen ihre Welt und sich selbst nicht mehr. Fiskus, Fonds, Virtual community, Konsortien, wer weiß noch, von wem er verwaltet wird und vor allem auch, wen er verwaltet ...

Botho Strauß schuf 1988 mit "Sieben Türen" ironisch giftige, teils ins Absurde gehende Mini-Dramen mit offenem Ende, die bewusst von einzelnen Menschen sprechen, nie aber von der Menschheit und das ist auch gut so. Im Untertitel nennt der Dramatiker seine Stückchen "Bagatellen" und das Theater Bagage bagatellisiert im Ludwigshafener Kulturdepot äußerst ansprechend. Der Reiz des leicht gekürzten Reigens, bestehend in einer Gratwanderung zwischen banalem Alltag und unspektakulär Kuriosem. Einem Bürger, der als unauffälligster Weltbürger ermittelt wurde, wird das Abrüstungspaket zur Verwahrung im Schlafzimmerschrank zugestellt, ein Liebespaar sitzt an seinem Hochzeitstag alleine da, weil man im Liebestaumel vergaß, Leute einzuladen. Die Szenen sind skurrile Momentaufnahmen des Zeitgeistes und erinnern voll abgründiger, aufschlussreicher Absurdität an Beckett und Kafka. Dem couragiert spielenden Ensemble gelingt es dabei immer wieder, die Hohlheit eitler Repräsentanten gesellschaftlicher Phänomene zu entlarven und über die traurigen Gestalten höchst komödiantische Funken zu schlagen.

Hervorzuheben sind besonders Roland Kauffmann und Elke Precht, die nach der Pause in dem Kabinettstückchen "Der Selbstmörder und das Nichts" sicherlich den Clou des Abends lieferten. Der frisch entleibte Traumforscher kann es in seiner wissenschaftlichen Hybris nicht fassen, nach seinem Tod solch ein banales Nichts vorzufinden, mit dem er nun die Ewigkeit zu teilen hat. Das Nichts (Elke Precht) nimmt's dagegen gelassen, es hat ja schließlich alle Zeit der Welt ... Die Schlussszene mit allen Beteiligten "Auf der langen Bank" kommt uns bekannt vor. Da sitzen römische Kaiser, Mönche und Hausfrauen zusammen und warten in einem Wartesaal des Fegefeuers auf das Nichts; na wenn die wüssten! In gleicher Szenerie setzte Jean Paul Sartre seine "Geschlossene Gesellschaft" und schuf die Erkenntnis: "Die Hölle, das sind die anderen!". Man ist sicher, da würde auch Botho Strauß zustimmen ...